An meine Amsel - Johann Jakob Jägle
Du der Aurorens Nähe mir
So lange Zeit verkündet,
Und durch Gesang und Munterkeit
Oft meinen Geist erheitert!
Was hast du, schwarzer Sänger, mir
Getan, daß ich dich lassen
Und deine Pflege fremder Hand
So hart vertrauen konnte?
Wer wird dir deine Wohnung rein,
So rein, wie ich erhalten;
Wer Nahrung dir und Wasser dir
Mehrmals des Tages reichen?
Und du, wem wirst so freudig du
Dein süßes Schwatzen schenken
Und singt er dir ein Liedlein vor,
Wie mir so horchend lauschen?
Ich sehe, wie du einen Fuß
Dicht an den Flügel schmiegest,
Dein Köpfchen drehend nach mir her,
Mich ladend, eins zu pfeifen.
Wie schalkhaft meinen Finger du,
Naht er sich, suchst zu kneipen,
Und wie du, necket er dich nur,
Mit Zorn die Federn sträubest.
Wie du, laß ich den Bauer dir
Im Zimmer offen stehen,
Mit Jubel aus demselben eilst,
Der Freiheit zu genießen.
Ah! nun erblickst du das Gefäß,
Gefüllt mit hellem Wasser;
Du hüpfst um es, du stürzt hinein,
Du plätscherst in dem Becken!
Nun suchst du einen stillen Ort,
Die Federn dir zu putzen;
Du putzest mit dem Schnabel dich,
Bis sie von neuem glänzen.
Dann schleichst du aus der Ecke her
Und nahst dich deinem Freunde;
Ziehst ihm vom Schuh das lose Band
Und pickst ihm in die Füße.
Und er hält etwas Brot dir dar,
Du springst, um es zu haschen
Und hüpfst im Kreise um ihn her,
Bis daß du es erobert.
Du, eines warmen Himmels Kind,
Was hast du denn begangen,
Daß ich dich fremder Pflege ließ,
Zurück mit dir nicht kehrte?
So viele hundert Meilen kamst
Du immer mir zur Seite
Und Tag und Nacht verließ ich nie
Dich trauten, schwarzen Sänger!
Wahr ist's, ich liebte Sänger dich,
Und liebe dich noch immer;
Zu fröhlich aber bist du nun
Für meinen Gram und Kummer.
Ich mag nicht mehr dein helles Lied
Und nicht mehr deine Scherze;
Dein Anblick selbst wär Zuruf mir
Zu neuer Klag und Trauer!