Morgenerinnerung - Wilhelm Waiblinger
Oft bis zum frühen Morgen
Bin ich im Bette wach,
Denn Trauer, Gram und Sorgen
Sind unter meinem Dach.
Kaum daß ein leichter Schlummer
Mein müdes Auge deckt,
Als schon der Seelenkummer
Aus schwerem Traum es weckt.
Dann tret' ich gern an's Fenster
Um jene Stunde hin,
Wo schon die Nachtgespenster
In ihre Gräber fliehn,
Wo in den leeren Gassen
Die stillen Schatten schon
So ahnungsvoll erblassen
Im nebelgrauen Ton.
Mein Haupt so bang und schwüle
Umweht der Lebenshauch
Der frischen Morgenkühle,
Und dünner Nebelrauch.
Es führt den goldnen Reigen
Der Morgenstern schon an,
Und durch das tiefe Schweigen
Kräht auch der muntre Hahn.
Da denk' ich alter Tage,
Da kehrt entschwund'nes Glück
Und süße Liebesklage
Mir immer neu zurück;
Ich denk' an jene Morgen,
Da ich vom Liebchen ging,
Das mir die Nacht verborgen
An meinem Herzen hing.