Klagelied über den Tod eines Canarien-Vogels - Anna Louisa Karsch

(Zu Magdeburg 1761)

Du Sänger, aus dem Lande
Das feinen Zucker zeugt,
Erstarrt liegst du im Sande
Und deine Kehle schweigt!

Dir klopfte viele Tage
Mit ungestümem Schmerz
Und wiederhohltem Schlage
Der Tod ans kleine Herz!

In tiefer Todes-Stille
Befand dein Häuschen sich,
Daß auch der kleinste Wille
Zum Singen dir entwich.

Mit kläglichem Geschreie
Im andern Bauer rief
Dich deines Freundes Treue,
Wenn früh noch alles schlief.

Du starbst, geliebter Kleiner,
Von deiner Frau beklagt!
Da von den Vögeln keiner
Nach deinem Grabe fragt,

Da weint sie bittre Zähren,
Zu kostbar, Vogel, dir!
Wenn Würmer mich verzehren,
Weint sie auch über mir.

Auf meine Asche nieder
Weint meiner Freunde Leid;
Sie klagen meine Lieder
Mein Herz voll Zärtlichkeit

Ich singe, wie du sangest
Nach täglichem Gebrauch,
Und was du itzt erlangest,
Erlang ich künftig auch.

Den Staub auf dich gebreitet,
Wirft man auch über mich,
Mein Grab, mehr ausgeweitet
Als deines, öffnet sich

Den Körper zu empfangen,
Den jetzt ein Geist belebt,
Der sehnlich mit Verlangen,
In mir nach Ruhe strebt.

Bei deiner Körner Essen
Und Wasser, hüpftest du;
Viel wird mir zugemessen:
Ich fordre mehr dazu.

Das Glück, das ich schon habe,
Ist meinem Geist zu klein.
Für ihn muß überm Grabe
Mehr Glück, mehr Ruhe sein.