Zu viel ist ungesund - Johann Martin Usteri

Wo hört sich Weisheit besser,
Als bei Gesang und Wein?
Kein Doktor, kein Professer
Gießt sie so freundlich ein.
Drum trinkt, und machet singend
Die alte Lehre kund:
„Zu viel ist ungesund!“

Seit Anno Eins cursieret
Das Sprüchlein durch das Land,
Doch stolpert dran und drüber
Tagtäglich jeder Stand,
Und jeder ruft dem andern
Mit aufgerißnem Mund:
„Zu viel ist ungesund!“

Was sagt der ernste Denker
Am Ende seiner Bahn?
Lebt' ich zum zweitenmale,
Ich fing' es klüger an.
Drum ruf' ich jedem Denker,
Und wohl nicht ohne Grund:
„Zu viel ist ungesund!“

Die Ärzte durchstudieren
Beinah die halbe Welt,
Um es dann gehn zu lassen,
Wie's der Natur gefällt.
Ich denk' bei ihrem: „Trinket!“
Und wohl nicht ohne Grund:
„Zu viel ist ungesund!“

Die Herren Theologen,
Nur leise sagt man das,
Dociren und beweisen,
Sie wissen selbst nicht was.
Ich denk bei ihrem „Glaubet!“
Und wohl nicht ohne Grund:
„Zu viel ist ungesund!“

Wir lassen sie im Frieden,
Und bringen nun in Ruh
Den beiden Lebensgöttern
Zwei volle Becher zu.
Dann still Gesang! Sonst tönet
Auch dir, nicht ohne Grund:
„Zu viel ist ungesund!“

Dem Wein zu Ehren werde
Das erste Glas gebracht;
Gäb' Gott ihn nicht zum Trinken,
Er hätt' ihn sau'r gemacht.
Doch denkt, bevor den Becher
Berührt des Trinkers Mund:
„Zu viel ist ungesund!“

Das zweite gilt der Liebe:
Nein, die vergißt man nie.
Die Blonden und die Braunen!
Wie ging es ohne sie!
Nicht uns, dem Hagestolzen
Ruft strenger Weisheit Mund:
„Zu viel ist ungesund!“