Die Hauswurz - Johann Martin Usteri

Arm Weiblein irrte zagend
Auf rauhem Pfad einher,
Sie blickte scheu und klagend
Mit bangem Herz umher:
Kein Baum, kein Blümlein schmückte
Das felsumschloßne Tal,
Wohin ihr Auge blickte,
War alles öd' und fahl.

„Wo seid ihr Blumenmatten?
Du Bächlein klar und kühl?
Wo ist der Laube Schatten?
Der Jugend süßes Spiel?
Ach, ewig, ewig ferne!
Es führt der Wanderstab,
Durch Felsen und Gedörne,
Mich Arme an das Grab!“

Da winkt ihr aus den Ritzen
Der kahlen Felsenfluh,
Mit zarten Silberspitzen
Der Hauswurz Sternlein zu,
Und blaue Blümlein sprossen
Aus moosigem Gestein:
Sie brach's, und milder flossen
Vom Aug die Tränelein.

Und Hoffnung grünt auf's neue,
Und stiller wird ihr Herz,
Denn Stern und Himmelsbläue,
Die ziehn sie himmelwärts:
Und sanft, wie Harfentöne,
Erklingt's in ihrer Brust:
Es bringt das innre Schöne
Nur ungetrübte Lust.

Sie folgt den frommen Klängen,
Und findet, was ihr fehlt,
Wenn Lebenslasten drängen,
In ihrer innern Welt.
Da sind, wenn's draußen wettert
Und Hagelwolken ziehn,
Die Blümlein unentblättert,
Die Lauben immer grün.