Das Leben - Johann Jakob Jägle
Rauschend, wie der Strom der Berge,
Ist des Lebens Morgenrot;
Riesen scheinen dann nur Zwerge,
Spielwerk, nur Gefahr und Not.
Mächtig reizen dann uns Güter,
Locken zaubernd zu sich hin.
Wären Teufel ihre Hüter,
Würden wir sie darum fliehn?
Und wir eilen und wir jagen,
Wohin Herz und Wunsch uns treibt.
Und wir trotzen und wir wagen,
Was uns nur zu wagen bleibt.
Doch allmählig nehmen Kräfte,
Nehmen Mut und Neigung ab;
Und die vollen Feuersäfte
Sinken in der Ohnmacht Grab.
Und wir sehen und empfinden,
Oft mit Trümmern uns umringt,
Daß die besten Jahre schwinden,
Eh ein Werk uns halb gelingt:
Daß wonach wir sonst gelaufen,
Uns nur Gram und Leid gebar
Und, wie wir es mußten kaufen,
Viel zu teu'r erkaufet war.
Nun beginnt ein ander Leben,
Schleichend ist und träg sein Lauf:
Ruhe lieben wir und geben
Dann ein jedes Wagnis auf.
Vorsicht zeigt dann unsern Schritten
Jeden Pfad bedächtlich an,
Und mit schwachen, leisen Tritten
Ziehn wir fort auf unsrer Bahn.
Was der eine Tag gesehen,
Wird am andern auch getan,
Und nur schweren Herzens gehen
Wir von der gewohnten Bahn.
Ausgetobt sind jene Triebe,
Die uns wütend sonst gefaßt;
Selbst der Ehrgeiz, selbst die Liebe
Stören nicht mehr unsre Rast.
Und so gleitet unser Nachen
Sanft zu jenem Meere hin,
Wo der Sorgen schwarzem Rachen
Wir auf ewig uns entziehn!