Die alte Spinnerin - Hermann Allmers

Nacht ist's und kalter Winter,
Still schlafen die Felder im Schnee;
Im Traume ächzen die Bäume,
Als hätten sie tiefes Weh.

Am dunklen Waldesrande,
Da steht ein Hüttchen klein,
Da sitzt in nied'rer Stube
Ein freundlich Mütterlein.

Die Alte sitzt und spinnet,
Ein kleines, dünnes Licht
Beleuchtet mit trübem Scheine
Das alte, gute Gesicht.

Und was sie geliebt, das ruhet
Im Grabe, ihr Mann, ihr Kind;
Sie spinnt nach alter Gewohnheit,
Denkt nicht, für wen sie spinnt.

Sie denkt an vergang'ne Zeiten,
Durch ihre Seele zieht
Auf einmal süß und schmerzlich
Ein längst vergess'nes Lied.

Und mit leiser, mit bebender Stimme
Singt sie's, indem sie spinnt,
Und heiß ihr von der Wange
Die Träne niederrinnt.

„Willkommen, du liebe, du schöne,
Hochwonnige Pfingstenzeit!
Zum Wald wir wollen wandern,
Ja wandern!
Mein Lieb, mach dich bereit!

Viel tausend Waldblümelein blühen
Alldort im grünen Gras;
Viel tausend Waldvögelein singen,
Ja singen
Alldort ohn' Unterlaß.

Und die Taube, die gurrt im Laube,
Hoch oben der Kuckuck schreit,
Wir aber halten uns still umfaßt,
Ganz still umfaßt
Vor Freud' und Seligkeit“.

So singet die Alte und weinet,
Ihr Spinnrad nicht mehr schwirrt,
Doch tief in ihrem Herzen
Es wieder Frühling wird.

Und draußen - Nacht und Winter,
Still schlafen die Felder im Schnee,
Im Traume ächzen die Bäume,
Als hätten sie großes Weh.