Abendschwärmerei - Christian Ludwig Neuffer

Wenn von des Abends Flügel
Der Dämmrung Friede taut,
Wenn um die Rebenhügel
Der dünne Nebel graut;
Wenn mit den Weizengarben
Vom Feld die Schnitter zieh'n,
Und Titans bläßre Farben
Am Horizont verglüh'n;

Wenn von der Weide Triften
Der Hirt die Schafe führt,
Und schon in dunklern Lüften
Die Lerche sich verliert;
Wenn auf der kühlen Erde
Die Nachtsylphide summt,
Und nach des Tags Beschwerde
Die laute Stadt verstummt:

Dann wandr' ich oft zum Haine
Und auf die nahe Flur
Im milden Dämmerscheine
Der ruhenden Natur.
Zu stiller Wehmut Feier
Weckt dann mich um und um
Die Gegend hehr und teuer
Gleich einem Heiligtum.

Da such ich jede Stelle,
Wo ich mit Ida ging,
Da blick' ich in die Quelle,
Auf der ihr Auge hing,
Da ruh' ich unter Bäumen,
Wo ihr zur Seit' ich saß,
Und in beglückten Träumen
Der Welt um mich vergaß.

Ich hör' an jedem Orte,
Was jüngst die Holde sprach,
Ich denke jedem Worte
Mit leiser Forschung nach;
Ich deut' aus ihren Blicken
Und suche sorgenvoll,
Ob Traner, ob Entzücken
Mir künftig reifen soll.

Ich klage, daß kein Wille
Des Schicksals mir sich zeigt,
Den Himmel an, der stille
Wie ein Geheimnis schweigt,
Indes der Buchen Blätter
Ein rauher Wind durchweht,
Und an dem Wald ein Wetter
Mit schwarzen Wolken steht.