An den Schlaf - Emanuel Geibel
Hoch vor allen
Gaben der Himmlischen
Sei mir gepriesen
Du der Seele
Labendes Wasser,
Gliederlösender
Heiliger Schlaf.
Dich segn' ich abends,
Wenn ich gebeugt,
Erquickung suchend
Herniedersteige
Zu deiner Tiefe.
Wie Meereswogen
Umfängst du mich kühlend;
Und wie das Meer
In seinem Schoße
Nichts fremdes herbergt,
Und faules Gewächs,
Trümmer und Leichen
Rastlos wieder
An's Ufer flutet:
Spülst du die Sorgen
Alle des Tages,
Die kranken Gedanken
Zurück an's Gestad.
Dich rühm' ich morgens,
Wenn mir die Seele
Verjüngt emportaucht
Aus deinen Wellen,
Frisch und strahlend
Wiedergeboren,
Der meerentstiegenen
Göttin gleich.
Ein heilig Bad
Bist du, o Schlummer,
Würziger Kraft voll.
Mut und Erneuung
Atmet die Psyche,
Wenn deine Woge
Sanft die bewußtlos
Schwimmende trägt
Von Leben zu Leben,
Von Strand zu Strand.
So ist der Tod
Auch ein Bad nur.
Aber drüben
Am anderen Ufer
Liegt uns bereitet
Ein neu Gewand.